Doppelvergabe der Olympischen Spiele in einer Welt voller Unsicherheiten. Teil 1
Die nun 123 jährige olympische Geschichte der Moderne ist voller Wendungen und Wunderlichkeiten, immer geprägt und beeinflusst von den Umweltbedingungen des Sports, eingeschlossen zweier Weltkriege. Umso erstaunlicher scheint es, dass Paris in dieser langen Zeit für eine ganz besondere Konstante steht. Bisher hat das Internationale Olympische Komitee erst zwei Mal gleich zwei Olympische Spiele bei einer Session vergeben. Wenn nicht alle Zeichen trügen, dann wird die französische Metropole am 13. September durch die Vollversammlung des IOC in Lima bei einer dritten Doppelvergabe zum dritten Mal zur Ausrichterstadt von Sommerspielen gewählt werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit für die Olympiade 2024. Los Angeles, als Ersatz für das zurückgetretene Boston angetreten, würde dann 2028 seine dritten Olympischen Spiele feiern können. Das wäre alles andere als ein Trostpreis im Duell zweier Stadt-Giganten.
Bei der Gründungsversammlung des IOC 1894 in der Pariser Sorbonne vermochte sich der französische Gründervater Baron de Coubertin nicht gegen den griechischen Anspruch durchzusetzen, bei der Neuerschaffung Olympischer Spiele dem Ursprungsland den Vorzug zu geben. Also fiel die Wahl für 1896 auf Athen, und Coubertin musste sich zufrieden geben mit den Spielen zur Jahrhundertwende 1900 in Paris. 1921, die Wunden des Ersten Weltkriegs lagen noch offen, entschied sich das IOC bei seiner 19. Session zu einer Doppelvergabe an Paris für 1924 und Amsterdam für 1928. Erstmals hatten die Niederländer sieben Jahre Zeit, sich auf das olympische Treffen vorzubereiten. Eine Frist, die dann erst seit den Spielen 2000 in Sydney zur Regel geworden ist.
Und nun also die Doppelvergabe des IOC für die Jahrgänge 2024 und 2028 im Vertrauen auf die Weisheit des Volksmunds, wonach doppelt besser hält und man aus der Not eine Tugend machen sollte. Jedenfalls strebt das historische Paris seine 100-jährige olympische Wiederkehr kompromisslos an, und der neureiche Konkurrent Los Angeles sieht sich offenbar ebenfalls als Beschenkter, nur eben mit vierjähriger Verspätung. Was die Sportgeschichte angeht, kann die USMetropole als Gastgeber der Spiele 1932 und 1984 mit zwei Besonderheiten durchaus mithalten. Weil das IOC sie bereits 1923 auserwählt hat, konnte sich Los Angeles neun Jahre vorbereiten, so lange wie keine andere Stadt bisher. Daraus werden nun voraussichtlich sogar elf Jahre. Für 1984, zur Hoch-Zeit des Kalten Krieges, fielen sie den Amerikanern sozusagen in den Schoß. Kein anderes Land traute sich, eine Bewerbung abzugeben.
Diese Vorgeschichte (siehe Kasten) ist in Betracht zu ziehen, wenn IOC-Präsident Thomas Bach unter Hinweis auf die Olympische Charta eine erneute Doppelvergabe durchsetzen will, und zwar ganz ohne Veränderung der olympischen Verfassung. Denn sie räumt ein, dass bei „außergewöhnlichen Umständen“ die Spiele nicht unbedingt sieben Jahre vorher vergeben werden müssen. Und von außergewöhnlichen Umständen zu sprechen in beunruhigenden, irrationalen Zeiten ist keine Übertreibung. Sie beziehen sich auf den kritischen Zustand des internationalen Sports und auf sein ihn prägendes Umfeld. Es ist die Ansteckungsgefahr durch eine Welt des Unfriedens, der Unordnung und der zunehmenden Bedrohungen, eingeschlossen die
Rücksichtslosigkeit, der Betrug und maßloses Streben nach Profit. Das macht den Sport zu einem Opfer und in gewisser Weise auch zu einem Spiegelbild. In einem solchen Zustand der Unsicherheit nach Abwehr und eigenen Sicherheiten zu suchen, ist für den olympischen Sport die größte Herausforderung und letzten Endes sogar eine Überlebensfrage.
Immer, und in der gegenwärtig besonders kritischen und unübersichtlichen Weltlage besonders, hat es das IOC vor allem mit der Politik Mächtiger zu tun. So steht Präsident Donald Trumps Lossagung der USA vom Pariser Vertrag zur Rettung des Weltklimas im krassen Widerspruch zur Olympischen Charta, in der es unter der Regel 2 heißt: „Aufgabe und Funktion“ des IOC sei es, „einen verantwortlichen Umgang mit Umweltbelangen zu stärken und zu unterstützen ... und zu verlangen, dass die Olympischen Spiele in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen veranstaltet werden.“ Regel 27 verpflichtet jedes Nationales Olympisches Komitee, „die Einhaltung der Olympischen Charta in ihren Ländern sicherzustellen“.
Konsequent angewendet disqualifiziert es die USA gegenwärtig, Gastgeber Olympischer Spiele zu sein. Ähnliches würde für Russland gelten, das mit den Spielen 2028 im eigenen Land liebäugelt und dem IOC direkt droht. Boykotte und Sperren von Athleten wären eine „gefährliche Sache, die eine neue Spaltung der Olympischen Bewegung bewirken könnte“. Gesagt hat das Russlands NOK-Präsident Alexander Schukow mit einer Deutlichkeit, die an die Zeit des Kalten Krieges erinnert. Schukow ist ein enger Gefolgsmann von Präsident Wladimir Putin.
2009 war die Zustimmung weltweit einhellig, als das IOC Rio de Janeiro gegen die reiche Vormacht aus Chicago, Tokio und Madrid überlegen siegen ließ: Die Spiele 2016 in einem Schwellenland, das auf dem besten Weg schien, zur fünftstärksten Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Dazu die olympische Premiere auf dem südamerikanischen Kontinent. Und sieben Jahre später: Ein Land in der Staatskrise, geprägt durch korrupte Führungseliten, Überforderung und Depression. So gesehen wirkt die Vorstellung von Bach auf den ersten Blick wie eine Anmaßung, mit einer Doppelvergabe die Sommerspiele gleich auch elf Jahre im Voraus zu vergeben.
Tatsächlich jedoch hat sie den Charakter einer überlebenswichtigen Anpassung. Eine davon ist die Abkehr von der olympischen Eroberung neuer Standorte, wenn erst eine Infrastruktur mit dem Aufwand vieler Milliarden erschaffen werden muss. Sotschi 2014 wirkte mit seinen fast 50 Milliarden Dollar Entwicklungskosten wie ein Fanal. Es machte allerdings die Tatsache vergessen, dass die sich selbst tragenden reinen Organisationskosten sowohl bei Sommer- wie bei Winterspielen bisher nie über die Drei-Milliarden-DollarGrenze reichten. Und es begrub, so nebenbei, den Traum des deutschen IOC-Chefs, als letzten Kontinent auch noch Afrika olympisch erschließen zu wollen, und zwar mit außerordentlich großer finanzieller Unterstützung durch das IOC, wie er sich einst vorgenommen hatte.